Die Bahn in Krieg und Frieden

Jin Chei, Historisches Archiv
150 Jahre Militäreisenbahndienst
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GD_GS_SBB75_0200: Übungen des Hilfsdienstes mit dem Modell 1915, Probemontage Tössbrücke bei Winterthur, 01.12.1941

In diesem Blogeintrag wird ein Jubiläum behandelt, welches zeitlich etwas weniger genau festgelegt werden kann. Zwar wurde die schweizerische Eisenbahn bereits seit ihrem Geburtsjahr 1847 für Truppentransporte verwendet, ein wichtiger Grundstein für die Organisation des späteren Militäreisenbahndienstes (MED) wurde aber im Deutsch-Französischen Krieg gelegt. Der Rücktransport der internierten französischen Bourbaki-Armee im Jahr 1871 war eine logistische Herausforderung, welcher mit dem ersten gemeinsamen Grosstransportfahrplan der schweizerischen Privatbahnen begegnet wurde.

Interessanterweise gab es damals zwar die «Eisenbahn- und Telegraphensektion» im Generalstab, welche von Oberstleutnant Jules Grandjean, Direktor der Jura Industriel, geleitet wurde. Dieser kann somit als erster Militäreisenbahndirektor bezeichnet werden. Die Privatbahngesellschaften behielten aber ihre Selbstständigkeit, Grandjean nahm nicht die geplante Funktion des «Centralbetriebschefs» ein und der Heimtransport der Internierten wurde nicht als Aufgabe des Generalstabs angesehen, so dass die Leitung der Aktion den jeweiligen Bahngesellschaften selbst überlassen blieb.

Lediglich in Olten wurde durch das Militärdepartement eine «Oberleitung» als Führungsinstrument eingesetzt.

Nichtsdestotrotz hatten die im Krieg gemachten Erfahrungen wichtige Erkenntnisse für die zukünftige Organisation des Militäreisenbahnwesens gebracht. Bereits 1870 empfahl Grandjean den Privatbahnen diverse Massnahmen, wie etwa ein einheitliches Signalreglement, Normierung von mobilen Rampen für den Ein- und Auslad von Pferden und Fuhrwerken sowie eine Organisation von Transporten zur besseren Ausnützung des Rollmaterials. Zusammen mit dem ersten gemeinsamen Transportfahrplan für die Rückführung der Bourbakis (übrigens noch mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 km/h, auf Bergstrecken 18 km/h) zeigt sich, welchen Einfluss militärische Beweggründe auf die Vereinheitlichung des Eisenbahnwesens in der Schweiz hatten.

03 SBB 6 987 Karte 1945
SBB 6.987: Eisenbahnkarte der Schweiz für den Kriegsbetrieb, Betriebsgruppeneinteilung 1945
Im Bundesgesetz über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen vom 28. Juli 1872 erhielt der Staat die Berechtigung «für die Zwecke der Landesverteidigung die Eisenbahnen […] in Anspruch zu nehmen und beliebig darüber zu verfügen».

Zudem wurde nach dem Kriegsende Oberst Hermann Siegfried (bekannt für die sogenannten Siegfriedkarten) damit beauftragt, wünschenswerte Verbesserungen des Eisenbahnnetzes in Bezug auf Militärtransporte aufzuzeigen. Im folgenden Bundesgesetz über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen vom 28. Juli 1872 erhielt der Staat sodann auch die Berechtigung «für die Zwecke der Landesverteidigung die Eisenbahnen […] in Anspruch zu nehmen und beliebig darüber zu verfügen».

Ebenfalls wurde ein grosser Teil des Bahnpersonals von der Wehrpflicht entlassen, jedoch unter der Voraussetzung, dass

im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung der Dienst quasi als Eisenbahner absolviert werden müsse.

Hier zeigt sich einerseits der Einfluss, den militärische Interessen auf die Streckenführung hatten, andererseits dass bereits die Privatbahnen im Staatsdienst stehen konnten!

01 F 115 00006 023 Bewachung der Gotthardbahn im Ersten Weltkrieg UOP3
F_115_00006_023: Bewachung der Gotthardbahn durch die Landsturmkompagnie I/54 und V/60, 17. April – 20. Mai 1916. Unteroffiziersposten 3.
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SBB Nachrichtenblatt September 1926: Joseph Zingg, Militäreisenbahndirektor im 1. Weltkrieg und Präsident der Generaldirektion zu seinem Ruhestand.

Seine grundsätzliche Einteilung erhielt der MED, als 1892 fünf Eisenbahngruppen gebildet wurden, welchen die fünf grössten Privatbahnen (Jura-Simplon-Bahn, Schweizerische Centralbahn, Gotthardbahn, Nordostbahn, Vereinigte Schweizerbahnen) vorstanden. Auch kleinere Bahn- und Dampfschiffgesellschaften wurden jeweils einer Gruppe zugeteilt. Diese Organisation wurde auch bei den SBB beibehalten.

Die fünf SBB-Kreisdirektoren wären im Krieg als Betriebsgruppendirektoren dem Oberbetriebsdirektor, einem Mitglied der Generaldirektion SBB, unterstellt gewesen. Des Weiteren erhielt die Generaldirektion unter anderem die Aufgaben, Instruktionen und Transportanordnungen für die Besammlung der Truppen sowie den Kriegsfahrplan für die eigenen Linien zu erstellen und stets aktuell zu halten.

04 SV 401 01
SV_401_01: Bahnhof Bern, Kriegsmobilmachung, Unteroffizier beim Studium des Kriegsfahrplans, 02.09.1939
08 GD GS SBB75 0031 Bekanntmachung
GD_GS_SBB75_0031: Auszug aus Bekanntmachungsplakat, ca. 1987-1990

Diese und weitere Vorbereitungen wurden im 1. Weltkrieg auf die Probe gestellt. Zusammen mit der Mobilmachung der Armee verfügte der Bundesrat auch den Kriegsbetrieb der Eisenbahnen und Dampfschiffe. Dies bedeutete, dass das Personal dem Militärgesetz unterstellt war und seinen Dienst nicht mehr verlassen durfte. Als Militäreisenbahndirektor wurde Oberst Joseph Zingg ernannt, zivil Leiter des

Betriebsdepartements bei der Generaldirektion SBB. Damit erhielt er die Befehlsgewalt über sämtliche Schweizer Transportanstalten.

Zwei Wochen nach der erfolgreichen Mobilmachung der Armee konnte der Kriegsfahrplan bereits wieder durch einen reduzierten Zivilfahrplan ersetzt werden.

Der Kriegsbetrieb wurde im März 1916 ausser Kraft gesetzt, um «das Publikum nicht zu belästigen» und den Dienst der Eisenbahner zu erleichtern – im Kriegsbetrieb waren sie unter anderem zusätzlich zur bewaffneten Bahnbewachung verpflichtet, Ruhezeiten mussten nicht eingehalten werden. Der Chef des Transportdienstes warnte daraufhin bereits vor den Folgen eines möglichen Streiks des Bahnpersonals – dieser Fall trat dann 1918 mit der Teilnahme am Landesstreik ein, welcher zu einer erneuten, wenn auch nur kurzen, Einführung des Kriegsbetriebs führte.

Zum nächsten Mal wurde dieser im 2. Weltkrieg ausgerufen – wiederum leistete die Bahn eine grosse Unterstützung bei der Mobilmachung. Gesamthaft hatten die Angehörigen der Armee von September 1939 bis Ende 1944 über 100 Millionen Bahnreisen unternommen! 

Der Militäreisenbahndienst kümmerte sich aber bei weitem nicht nur um den Fahrplan und Truppentransport. Auch Güter zur Landesversorgung und Verwundete oder Internierte mussten transportiert und dazu der grenzüberschreitende Verkehr geregelt werden.

Zudem hatte der MED für die Sicherheit der Infrastruktur zu sorgen, aber auch für deren eventuelle Unbrauchbarmachung oder Wiederinstandsetzung.

Zur Erfüllung all dieser Aufgaben wurden unter anderem Organe wie das Kriegstransportamt oder die bewaffnete Bahnpolizei geschaffen, geheime Kommandozentralen geplant, Anleitungen zur Zerstörung von Triebfahrzeugen verfasst und der schnelle Wiederaufbau von Brücken geübt. Ebenfalls kamen diverse Spezialfahrzeuge wie etwa ein Badezug, Sanitätszüge oder der Kriegspressezug zum Einsatz.

05 SBB Historic F 104 18834 Personenwagen C4ue 8587
F_104_18834: Personenwagen C4ü 8587 mit Einrichtung für Militärkrankentransport
07 GD GS SBB75 0071 02
GD_GS_SBB75_0071: Unbrauchbarmachungsbefehl für das Kraftwerk Sils (Domleschg), 1987

Dabei beschränkte sich die Arbeit des MED nicht nur auf Kriegszeiten. Instrumente wie etwa der Kriegsfahrplan mussten stetig angepasst werden und die vielfältigen Aufgaben erforderten ausführliche Vorbereitung. Das Wissen um die schnelle Wiederinstandsetzung konnte aber auch bei Zerstörung durch Naturereignisse eingesetzt werden.

Dieser Blog wurde begleitend zur Führung «Eisenbahn in Krieg und Frieden» vom Donnerstag, 30. September, verfasst.

09 GD GS SBB75 0121 K85
GD_GS_SBB75_0121: Bau des Kommandopostens K85 Hirschengrabentunnel, ca. 1989