Der Aargau, Bahnkanton seit erster Stunde

Marc Ribeli und Luzius Mäder, SBB Historic
Die erste Eisenbahnstrecke der Schweiz führte durchs Limmattal von Zürich nach Baden. Das Jahr 1847 markierte dabei den Beginn einer rasanten Entwicklung mit einschneidenden Veränderungen für Gesellschaft, Industrie und Landschaft im Kanton Aargau. Wir nehmen Sie mit auf eine Zeitreise und zeigen, wie die Eisenbahn den Aargau geprägt und verändert hat – oder dies hätte tun können.
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Ansicht Nordbahn-Bahnhof in Baden, im Hintergrund der Schlossberg mit Tunnel, ca. 1848, P_0010

Wir beginnen unsere Reise vor gut 175 Jahren. Der erste Zug der Schweizerischen Nordbahn – im Volksmund besser bekannt als Spanisch-Brötli-Bahn – dampfte damals durch den Aargau. Um dies zu ermöglichen, wurden Brücken gebaut, es mussten Einschnitte sowie Bahndämme errichtet werden, Schienentrassees wurden verlegt und in Baden wurde der erste Eisenbahntunnel überhaupt in der Schweiz aus dem Schlossberg gegraben. Obwohl er nur 90 Meter lang war, war dies die härteste Knacknuss beim Bau dieser Strecke. Im aargauischen Limmattal war die Eisenbahn künftig nicht mehr wegzudenken, wenn auch zum Leidwesen insbesondere der Bauern. Viele von ihnen wurden gegen eine Entschädigung enteignet und mussten Land abtreten. Unzählige Felder, Weiden und Äcker wurden durch die Eisenbahnlinie zerschnitten. Die ursprünglich projektierte Schienenverbindung von Basel nach Zürich blieb das Hauptziel der Schweizerischen Nordbahn, doch konnten sich die betroffenen Kantone, namentlich Zürich und die beiden Basel, nicht über die Linienführung einigen. Zürich wollte ab Baden eine Fortsetzung via Bözberg, also über Brugg, was jedoch aufgrund der zu

überwindenden Steigungen als bautechnisch risikoreich galt. Deshalb dauerte es auch bis in die 1870er Jahre, bis das grosse Projekt «Bötzbergstrecke» endlich realisiert werden konnte. Das war die direkte Alternative und vor allem die um einiges kürzere Strecke von Basel nach Zürich. Bisher musste man den Umweg via Hauenstein-Scheiteltunnel (Läufelfingen–Trimbach, 1858 eröffnet) und Olten machen. Dieses äusserst respektable Projekt mit dem 2500 Meter langem Bözbergtunnel brachte sowohl im Aaretal wie auch im Fricktal einschneidende Landschaftsveränderungen mit sich. Als exemplarische Beispiele ist neben dem Bözbergtunnel selbst auch die Aarebrücke bei Brugg zu nennen.

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Station Bötzenegg (Schinznach) am südlichen Tunnelportal des Bözbergs, zwischen 1875 und 1900, F_183_00001_002
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Zweite Aarebrücke bei Brugg, 1938, SV_323_12
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Projektplan Schafmatt-Eisenbahn mit Varianten, 1888, VARIA_120_06

Im Zuge der Entwicklung der Eisenbahn im 19. Jahrhundert wurde der Transitverkehr von Deutschland nach Italien ein immer gewichtigeres Argument. 1882 wurde die Nord-Süd-Verbindung durch die Gotthardlinie komplettiert. Ein Nadelöhr bildete der Hauensteintunnel zwischen den Knotenpunkten Basel und Olten. Ein Ausbau oder

eine Alternative musste früher oder später her. Im Kanton Aargau kam die Idee auf, eine direktere und effizientere Verbindungslinie zu bauen: das Projekt «Schafmatt-Eisenbahn» war geboren. Das von Olivier Zschokke, Aarauer Politiker und Ingenieur, projektierte Vorhaben, welches die Eisenbahn von Gelterkinden durch einen

5.5 km langen Tunnel unter den Jurahöhen durch direkt nach Aarau geführt hätte, scheiterte allerdings. Bund und SBB entschieden sich zum Bau des Hauenstein-Basistunnels. Dieser wurde schliesslich während des Ersten Weltkriegs fertiggestellt und sorgte endgültig dafür, dass heute Olten, und nicht Aarau, ein so zentraler Knotenpunkt im schweizerischen Schienennetz ist.

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Bau des östlichen Teils des Heitersbergtunnels im Tagebau, Dezember 1969, R_5637_04

Mit der ab dem Ersten Weltkrieg durchgeführten Elektrifizierung und dem Doppelspurausbau erhielt das Schweizer Bahnnetz vorerst erhebliche Leistungsreserven und der Bau neuer Linien drängte sich nicht auf. Erst mit der wirtschaftlichen Hochkonjunktur nach dem Zweiten Weltkrieg begann sich eine Neuorientierung abzuzeichnen. Vor allem die Entflechtung der Hauptverkehrsströme im Mittelland bildeten nun ein Schwergewicht der Baupolitik der SBB.
1969 wurde nach langer Zeit wieder ein Streckenneubau in Angriff genommen: die Heitersberglinie wurde realisiert. Diese führte ab Killwangen durch den Heitersbergtunnel Richtung Lenzburg. Sie verkürzte die Strecke Zürich–Bern um 7.9 km und diente einerseits dem Schnellzugsverkehr Zürich–Olten, andererseits dem Güterverkehr aus dem Raum Zürich und Ostschweiz zur aargauischen Südbahn als Zufahrt zum Gotthard. Mit einem verhältnismässig kurzen Streckenstück wurde so eine wesentliche Verbesserung in verschiedenen Verkehrsbereichen herbeigeführt. Landschaftlich prägend waren vor allem die ausgebauten Bahnhöfe entlang der neuen Strecke, kreuzungsfreie Übergänge wie etwa der Lehnenviadukt

bei Killwangen oder der mehrstöckige Kreuzungspunkt Erlimoos bei Lenzburg, sowie der 4.9 km lange Tunnel durch den Heitersberg. In engem Zusammenhang mit der Heitersberglinie stand ein anderes grosses Infrastrukturprojekt der SBB auf Aargauer Kantonsgebiet: der Rangierbahnhof Limmattal (RBL). Die Vorteile der topfebenen, unverbauten Fläche im Limmattal zwischen Dietikon und Killwangen bewog die SBB dazu, den überlasteten Rangierbahnhof Zürich ins Limmattal und damit zu grossem Teil auf Aargauer Boden zu verlegen. Die erste Bauetappe wurde 1969 abgeschlossen, weitere Ausbauten ab 1972 erfolgten bis Anfang der 1980er Jahre. Die Anlage wurde 1981 vollständig in Betrieb genommen und fungierte fortan als beherrschender Knoten im Güterverkehrsnetz der SBB. Auf Flugaufnahmen aus der Bauzeit zeigt sich die Landschaftsveränderung im Limmattal besonders eindrücklich.

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Erlimoos bei Lenzburg: Symbol für moderne, zweckmässige und zukunftsgerichtete Bauweise. Eröffnungsfeierlichkeiten am 27. Mai 1975, R_6289_11
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Rangierbahnhof Limmattal, 1. Juni 1978, R_6673_13

Die 1980er-Jahren bildeten gleichzeitig den Startschuss für weitere bedeutende Bauprojekte: 1987 hiess das Stimmvolk das Konzept «Bahn 2000» gut. Das Grossprojekt zur Leistungssteigerung des Bahnverkehrs in der Schweiz sollte insbesondere mit baulichen Massnahmen die Verbindungen beschleunigen und den Fahrplan verdichten. Grössere Bautätigkeiten am Aargauer Schienennetz fanden etwa beim Ausbau der Strecke Aarau–Rupperswil auf vier Gleise sowie auf dem Stadtgebiet von Aarau statt, wo die Bahnanlagen in den 1990er und 2000er Jahren nahezu vollständig umgebaut wurden.